Momshaming

Momshaming kommt leider nicht in Einzelfällen vor, sondern es ist ein systemisches, gesamtgesellschaftliches Problem. „Momshaming“ oder auch „Mombashing“ oder „Mommy wars“ sind Bezeichnungen für das Mobbing von Müttern. Mütter müssen sich nicht nur extrem häufig für ihre Entscheidungen rechtfertigen, sie werden zudem auch Opfer von Lästereien, kritischen Blicken und Spott. Eine von Löwenzahn organics beauftragte Forsa-Studie ergab, dass 77 Prozent der Mütter für den Umgang mit ihrem Kind kritisiert wurden (Löwenzahn organics).

Beispiele für Momshaming

Beispiele für Momshaming gibt es viele. Sei es die Vereinbakeit von Beruf und Familie („Warum bekommst du ein Kind, wenn du direkt wieder arbeiten gehst?“), vermeintliche Gefahren für das Kind („Die Sonnencreme ist aber nicht auf mineralischer Basis.“), oder das infrage stellen der Liebe zum Kind („Hast du keine Lust, dich mit deinem Kind zu beschäftigen oder warum lässt du es fernsehen?“).  Auch die Ernährung des Kindes ist ein ganz heißes Thema und die Kritik dazu beginnt unmittelbar nach der Geburt. Stillt die Mutter, ist sie Kommentaren ausgesetzt wie: „So lange zu stillen finde ich ja irgendwie gestört.“, „Warum hast du nur so kurz gestillt? War es dir zu anstrengend?“, „Still das Kind doch nicht ständig. Du verwöhnst es ja total.“, „Wieso lässt du dein Kind schreien? Steck ihm doch einfach die Brust in den Mund.“

Stillt die Mutter nicht, hagelt es Kommentare wie „Also mir war da das Wohl meines Kindes einfach am wichtigsten. Stillen ist das Beste für dein Kind.“, „Da muss man sich halt mal ein bisschen durchbeißen und nicht bei der kleinsten Schwierigkeit aufgeben.“, „Puh, mit Flaschennahrung bekommt dein Kind später bestimmt viele Allergien.“

Egal wie sich die Mutter entscheidet, sie wird sich Kritik aussetzen müssen. Es gibt keine Möglichkeit es „richtig“ zu machen.

Welche Folgen hat das? 

Mütter stehen unter ständiger Beobachtung – und zwar nicht nur durch kinderlose Menschen, sondern oft vor allem durch andere Mütter. Kritik an der Ausübung der Mutterschaft befeuert das schlechte Gewissen. Das hat zur Folge, dass Mütter oft weniger freie Entscheidungen treffen als eigentlich möglich. Denn natürlich schmerzen solche Sticheleien und boshaften Kommentare und diesen Schmerz möchte man durch „die richtigen Entscheidungen“ verhindern.

Warum gibt es Momshaming?

Was sind die Gründe dafür, dass vor allem Mütter untereinander dieses Momshaming betreiben? Die unbezahlte Carearbeit wird nach wie vor hauptsächlich von Frauen übernommen (Gender Care Gap). Eine Arbeit, die ohnehin wenig gesehen und wertgeschätzt wird. Warum bilden Mütter keine Banden und stellen sich gemeinsam gegen diese Ungleichberechtigung und diese Ungerechtigkeit? Warum hacken sie gegenseitig aufeinander rum?

Meine These ist: Es liegt am Rollenbild der Mutter. Das Rollenbild „Mutter“ ist nicht mehr klar genug. Es befindet sich seit geraumer Zeit im Wandel und es wandelt sich in verschiedene Richtungen zugleich. Das Rollenbild „Mutter“ aus den Fünfziger Jahren, war zwar weit entfernt von einem Rollenbild, das Gleichberechtigung unterstützt, aber es hatte einen großen Vorteil: Es war klar und es bot Orientierung. Mütter waren verantwortlich für Haus und Kind, viel mehr Spielraum gab es in diesem Rollenbild nicht. 

Das Rollenbild der Mutter gibt nicht mehr genug Orientierung

Heute ist das Rollenbild Mutter bei Weitem nicht so scharf umgrenzt. Mütter sollen zeitgleich verschiedene Rollenbilder aus mehreren Generationen verkörpern. (Die folgenden Sätze enthalten sarkastische Elemente) Sie sollen zwar nach wie vor Vollzeit für ihr Kind da sein, gleichzeitig sollen sie aber weiterhin uneingeschränkt erwerbsarbeiten (Und wehe sie melden sich mal kindkrank – „Da müssen sich die Mütter ja nicht wundern, dass sie keine Verantwortung übertragen bekommen“). Gleichzeitig sollen Mütter auch die Vorzeigepartnerin sein, die „ihrem Partner den Rücken frei hält, weil der ja schon arbeiten geht und sich dann nicht auch noch um Haushalt und Kind kümmern kann“. Aussehen sollen sie möglichst wie vor der Geburt.

Unnötig zu erwähnen, dass das gleichzeitig nicht geht. Das Rollenbild der Mutter ist nicht mehr scharf genug umrissen. Das führt dazu, dass viele Mütter verunsichert sind. Es gibt kein Rollenbild mehr, an dem sie sich orientieren können. Zu viele verschiedene Standards müssen erfüllt werden, um eine „gute Mutter“ zu sein. Über kurz oder lang kommen Mütter damit in Kontakt, dass sie diese Standards nicht alle erfüllen können. Das führt zu einem schlechten Gewissen, zu Unwohlsein und zu Selbstzweifeln.

Abwertung anderer, eigene Aufwertung

Was hilft dagegen am schnellsten? Abwertung von anderen. Durch die Abwertung von anderen Müttern wertet sich die einzelne Mutter wieder auf. („Das, was die anderen machen, ist falsch, das, was ich mache, ist richtig. Ich habe hier den Durchblick“). Der Austausch ist ein Runterdrücken anderer und dadurch eine Erhöhung meiner selbst.

Im Spiegel-Artikel „Der Krieg der Mütter“ von Heike Kleen (30.9.2020) steht treffend zusammengefasst: „Mom Shaming ist deshalb kein Kampf gegen andere Mütter, es ist der Versuch, die eigenen Zweifel zu besiegen.“

Was hilft gegen Momshaming?

  1. Das Bewusstsein über den Grund für Momshaming ist vermutlich schon eine große Erleichterung für viele Betroffene. Die Kritik, die ich als Mutter erhalte, basiert auf den Selbstzweifeln anderer Mütter. Diese Mütter versuchen verzweifelt, sich Orientierung zu verschaffen. (Randbemerkung: Nicht nur Mütter, die gerade junge Kinder haben, betreiben Momshaming. Auch ältere Generationen hadern mit der Unsicherheit, ob es „richtig“ war, wie sie ihre Kinder groß gezogen haben).
  2. Entscheidungen anderer Eltern einfach kommentarlos akzeptieren. Jede:r kann sich seinen Teil über Entscheidungen anderer Eltern denken. Das wird auch unweigerlich passieren, denn dieser Mechanismus des Abwertens anderer und der damit verbundenen eigenen Aufwertung passiert oft automatisch in unseren Köpfen. Jede:r hat aber die Möglichkeit, solche Gedanken für sich zu behalten.
  3. Schließt euch zusammen und stärkt euch gegenseitig. Liebe Mütter, tauscht euch über die Herausforderungen der Mutterschaft aus. Werdet euch bewusst über die noch vorherrschende Ungleichberechtigung, bietet gegenseitig Unterstützung und/oder auch nur ein offenes Ohr an,  trefft bewusste Entscheidungen.
  4. Bindet die Väter ein. Bindet die Väter ein und teilt euch, wenn möglich, die Elternschaft fair auf. Viele Väter haben es überhaupt nicht auf dem Schirm, dass es Momshaming gibt. So gehen sie mit einer erfrischenden Selbstverständlichkeit und Unbeschwertheit mit den gekauften Schokowaffeln auf den Spielplatz. Während viele Mütter schon mit schlechtem Gewissen auf den Spielplatz gehen, weil sie keine selbstgebackenen, zuckerfreien und veganen Dinkelkekse dabei haben („Kann ich es verantworten, ohne Snack auf den Spielplatz zu gehen?“). Abgesehen davon, dass wir Mütter uns von dieser Leichtigkeit ein bisschen was abgucken können, bin ich auch der Überzeugung, dass eine Verbreitung der gleichberechtigten Elternschaft vieles erleichtern wird. Das „Gelingen“ der Kinder wird dann nicht mehr nur als Verantwortung der Mutter gesehen wird. Und das wird hoffentlich das Ende des Momshamings einläuten.