Patricia Cammerata steht auf einer Wiese, schaut freundlich in die Kamera und trägt ein gemustertes Kleid.Patricia Cammarata erklärt Mental Load, Maternal Gatekeeping und das Kartenhaus

Mental Load – was ist das eigentlich? Patricia Cammarata ist eine Expertin in Sachen Mental Load. Ihr Buch „Raus aus der Mental Load Falle“ ist nicht ohne Grund ein Spiegel Bestseller. Das Thema beschäftigt viele. In diesem Interview verrät Patricia Cammarata was es mit dieser „Last des Dran-Denkens“ eigentlich auf sich hat. Was wir dagegen tun können und was das ganze mit einem Kartenhaus zu tun hat.

Patricia Cammarata, was ist Mental Load eigentlich?

Mental Load lässt sich übersetzten als „Last des Dran-Denkens“, denn es ist ein Teil von Sorgearbeit. Jedoch nicht der Teil der fragt „Was gibt es zu tun?“, sondern eher „Wer denkt dran?“.

Patricia nutzt zur Erklärung auch gerne das Bild des Eisbergs. Wenn man sich die Sorgearbeit als Eisberg vorstellt, dann ist die Spitze die zu erledigenden Aufgaben, die To-Dos. Obwohl die Aufgaben auch oft schon eher ungleichberechtigt verteilt sind (Stichwort „Gender Care Gap“), ist ein weiterer großer Teil der ungerecht verteilten Sorgearbeit unsichtbar. Oder eben versteckt unter der Wasseroberfläche – die Mental Load.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Einkaufen. Wenn der Partner meint „Aber den Wocheneinkauf, den übernehme doch immer ich.“, dann meint er damit ja nur einen kleinen Teil der komplexen Aufgabe „Einkaufen“. Wer überlegt sich was gekocht wird? Wer merkt sich was die Kinder gerne essen? Wem fällt auf was bald schlecht wird? Wer schreibt den Einkaufszettel? All das ist Mental Load.

Eine neue Harvard-Studie, erzählt Patricia, dröselt auf, um was es bei Mental Load wirklich geht. Bedürfnisse antizipieren, permanent Optionen abwägen, um diese Bedürfnisse zu erfüllen und dieses Prozess dann durchgehend zu beobachten und zu kontrollieren.

Warum ist es so schwer sich gerechter aufzuteilen?

Zum einen sind sich viele dieser Last einfach nicht bewusst, so Patricia. Das liegt vor Allem daran, dass es eben oft unsichtbare Arbeit betrifft.

Zum anderen rechnet man einfach nicht genau nach. Sorgearbeit ist eben keine 40- oder 50-Stunden-Woche mit Wochenende und gesetzlich zugesichertem Urlaub, vor Allem mit Kleinkindern. Deswegen ermutigt Patricia Cammarata Eltern dazu, wirklich mal genau aufzurechnen, denn dann wird die ungerechte Verteilung sehr schnell sichtbar. (Das geht zum Beispiel mit dem Mental Load Test vom Equal Care Day).

Wie können wir uns also fairer aufteilen?

Ein guter Einstieg könnte sein, wenn man einfach mal eine Aufgabe als ganzes Paket abgibt, so Patricia. Am Besten sucht man sich dafür eine Aufgabe, bei der es nicht so schlimm ist, wenn auch mal was schief geht. Man sollte vermeiden, dass von der eigentlich ausführenden Person (oftmals Mutter) nachgesteuert werden müssen. Zum Beispiel die Aufgabe „Mittagessen in der Schule“. Ein Mal pro Woche müssen die Mahlzeit für das Mittagessen in der Schule ausgewählt und angekreuzt werden. Wenn das nicht passiert, bekommt das Kind pauschal einfach Mittagessen A. Es verhungert also nicht, aber ist vielleicht genervt, weil es das Essen nicht gerne isst. Der Partner sollte diesen Prozess dann also von vorne bis hinten übernehmen. Das heißt er wird nicht erinnert und übernimmt, wenn etwas schief laufen sollte, auch selbst die Verantwortung dafür und klärt das dann mit dem Kind.

Das Gute daran ist, dass der Partner so erfahren kann, dass viele Aufgaben eben deutlich komplexer sind, als man das vielleicht „von Außen“ zunächst denkt. Oder man merkt, dass es nicht sehr spaßig ist von einem Kind angemeckert zu werden, weil man das falsche oder gar kein Essen gewählt hat und lernt dann daraus. Das Erlernen dieser Prozesse braucht viel Übung. Das sollte man von vornherein mit einkalkulieren, damit es nicht unnötig zu Streit kommt.

Als Partnerin kann man sich übrigens auch super davon überraschen lassen, dass es eben auch klappt, wenn es jemand anderes anders macht als man selbst. Man darf lernen einen „Vertrauensvorschuss“ zu geben.

Ist das Mental Load Problem damit gelöst?

Der Prozess, der angestoßen wird, wenn man anfängt sich mit Mental Load zu beschäftigen, ist ein langwieriger und andauernder. Das ist nichts, was man irgendwann „raus hat“, so Patricia Cammarata. In den Gesprächen und durch die investierte Zeit ergeben sich aber super viele, wertvolle Aha-Momente. Man erlangt als Paar auch eine ganz neue Form von Wertschätzung. Außerdem erfährt man vielleicht auch umgedreht von Sachen, über die man sich bis dahin keine Gedanken gemacht hat. So zum Beispiel das Luftdruck-Messen beim Auto vor jedem Urlaub.

Am Besten übernimmt man den Austausch über den alltäglichen Mental Load, über die Prozesse und was so anfällt in die wöchentliche Routine. Jeden Monat kann es auch hilfreich sein sich über die Meta-Ebene auszutauschen. Das heißt darüber was gut bzw. schlecht geklappt hat. Oder vielleicht möchte man sich auch mal anschauen, was wer übernimmt, einfach, „weil er/sie das einfach besser kann“. Auch diese Verantwortungsbereiche kann man dann einfach mal bewusst tauschen. Diesen monatlichen Austausch kann man auch dafür nutzen sich über seine Ansprüche bewusst zu werden und zu überlegen, ob diese für die aktuelle Lebenssituation überhaupt sinnvoll sind. Müssen die Fugen im Hof wirklich immer einwandfrei von Moos befreit werden, während wir versuchen das erste Jahr mit neuem Baby zu überstehen?

Wie ein Kartenhaus

Manche Sachen sind einem Partner / einer Partnerin aber eben auch trotzdem sehr wichtig und dann ist es von großer Bedeutung darüber zu reden warum das so ist. Patricia Cammarata erzählt dabei von ihrer Zeit der Überlastung und, dass es sich angefühlt hat, als würde sie ein Kartenhaus jonglieren. Es fühlte sich an, als ob jede auch nur etwas schiefe Karte das gesamte Haus zum Einstürzen bringen könnte. Noch schlimmer: Sie hätte bei einem Absturz dann gefühlt auch noch Feuerwehr spielen müssen. Sie wäre diejenige gewesen, die die Launen der Kinder hätte aushalten müssen und sich um Lösungen bemühen müssen.

Wenn man das erklärt, dann hat der Partner da in der Regel auch Verständnis für und kann diese Angespanntheit und den verspürten Druck besser nachvollziehen.

Sind die Mütter Schuld? Was ist Maternal Gatekeeping?

Maternal Gatekeeping, oder auch „das mütterliche Kontrollbedürfnis“, ist ein eher kontroverser Begriff, der seit dem Erscheinen eines Artikels im Spiegel wieder viel Gebrauch findet. Gerne wird Maternal Gatekeeping als Ausrede benutzt, um Frauen die Schuld für ihre eigene Misslage in die Schuhe zu schieben. Sie lassen die Männer einfach „nicht machen“.

Diese Argumentation kann Patricia Cammarata schnell aus dem Weg räumen. Wann kommt es denn zu dieser kontrollierenden, verspannten Haltung der Mutter? In der Regel ja nicht dann, wenn man sich von Anfang an fair aufgeteilt hat, sondern, wenn eben die Mutter jahrelang die Hauptverantwortliche war. Wenn sich dann der (meistens) Mann mehr einbringen möchte, dann gibt es da eben einen Kompetenz- und Erfahrungs-Gap.

Natürlich entstehen an dieser Stelle dann Konflikte, da die Mutter eben einen großen Erfahrungsschatz hat, den sie natürlich gerne weitergeben möchte. Der Vater hat aber vielleicht den Wunsch ganz eigene Lösung zu finden.

Aber eigentlich sollte der Begriff da bleiben, wo er auch herkommt, findet Patricia Cammarata. Im Trennungskontext wird Vätern von den Müttern manchmal der Zugang zu den Kindern verwehrt und das ist schlimm, für Väter und Kinder.

Bei Unstimmigkeiten darüber, wie etwas durchgeführt werden sollte, hilft es wieder übers „Warum“ zu reden, oder auch einfach mal über sich selbst zu lachen. Patricia beschreibt zum Beispiel, wie sie Paprika gerne in schöne Streifen schneidet. Ihr Mann macht das anders. Obwohl sie weiß, dass es super unwichtig ist und sie ihn schon längst nicht mehr darauf aufmerksam macht, sieht man ihr es wohl im Gesicht an, wenn sie ihrem Mann beim Paprika-Schneiden zu sieht. Da hilft einfach nur drüber lachen, sagt sie, oder die Küche verlassen. Man muss unterscheiden können was wirklich lebenswichtig ist und Paprika-Streifen sind es nunmal nicht.

Strukturelle Probleme als Grundlagen für Mental Load

Auf Seite der Eltern fühlt es sich oftmals wie eine persönliche Entscheidung an, aber die äußeren Rahmenbedingungen sind maßgeblich an einer statistischen Ungleichberechtigung von Müttern und Vätern beteiligt, so Patricia Cammarata.

Zum einen ist das die Definition von Vollzeit als 40-Stunden-Woche, die bei genauerem Hinsehen einfach unvereinbar mit der Sorgearbeit ist. Zum anderen aber auch steuerliche Reglungen wie das Ehegatten-Splitting, denn so haben viele Familien das Gefühl, dass es sich sowieso nicht lohne, wenn die Frau arbeiten geht. Außerdem ist die Infrastruktur, also zum Beispiel fehlende Kita-Plätze oder steigende Mietpreise, ein wesentlicher Faktor, der es Familien erschwert sich fair aufzuteilen.

All diese Rahmenbedingungen drängt Familien in eine klassischen Rollenverteilung, unabhängig davon, ob sie diesen Lebensstil überhaupt leben möchten. Besonders schlimm ist es, so Patricia, dass man in diese Rollenverteilung oft unbemerkt reinrutscht. Man ist sich der Auswirkungen, die dieses Rollenverhältnis für die eigene Partnerschaft, aber auch finanziell in 5, 10 oder 30 Jahren hat, einfach viel zu wenig bewusst.

Fazit

Mental Load ist zu einer Art Buzzword geworden, aber Patricia Cammarata zeigt in diesem Interview auf, wie tief dieser unter der Wasseroberfläche versteckter Teil von Sorgearbeit wirklich reicht. Von den individuellen Herausforderungen bis hin zu den strukturellen Voraussetzungen für Mental Load. Es zeigt sich, dass es ein komplexes, vielschichtiges Thema ist, das es ernst zu nehmen gilt.

Warum es also lohnenswert ist sich auf persönlicher und struktureller Ebene mit dem Thema Mental Load zu beschäftigen?

Weil wir uns wünschen, dass Frauen und Männer, Mütter und Väter, aber eben auch Mädchen und Jungen eine Wahl haben. Eine echte Wahl, und die Möglichkeit, sich unabhängig ihres Geschlechts frei zu entfalten.

Die Original Podcastfolge mit Patricia Cammarata findest zu hier.

Patricia verfasst regelmäßig Blogartikel, u.a. zum Thema Mental Load – ihren Blog findest du hier: https://dasnuf.de 

Wenn du mehr zum Thema gleichberechtigte Elternschaft wissen möchtest, höre dir gerne auch die anderen Folgen in meinem Podcast „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ an, zum Beispiel mit Sina Fricke über den „Club der guten Mütter“.