Warum gendern wir?

Ein Thema, das polarisiert und so manch kecken Witzbold zu scherzhaften Überspitzungen treibt. „Sollen wir jetzt etwa Kinder:innen sagen?“ Hahahahaha.

Zugegeben: Ich habe die Sinnhaftigkeit des Genderns auch erst verstanden, nachdem ich mich intensiver damit auseinandergesetzt habe. Gleichzeitig ist es genau das, was ich Menschen unterstelle, die sich kringelig lachen über „Gib mir mal bitte die Salzstreuerin“. Sie haben sich mit dem Thema der gendersensiblen Sprache nicht – oder zumindest nicht ausreichend – auseinandergesetzt. 

Ja, es gibt Kritik und auch Gefahren bei der Nutzung der gendersensiblen Sprache (dazu gleich mehr), doch das Thema ins Lächerliche zu ziehen ist in meinen Augen ein Zeichen dafür, dass einem die sachlichen Argumente ausgegangen sind.

Warum gendern wir also? Oder warum sollten wir das dringend tun?

 

Gründe, die für das Gendern sprechen:

 

1. Sprache wird präziser und inklusiver.

Wenn in einem Krankenhaus 50 Ärztinnen und 50 Ärzte arbeiten und diese 100 Personen als „Ärzte“ angeführt werden, empfinde ich das als eine ziemlich unpräzise und inkorrekte Bezeichnung. Abgesehen davon schließt eine gendersensible Sprache deutlich mehr Menschen ein als das generische Maskulinum.

2. Durch Sprache gestalten wir Zukunft.

Sprache ist nicht einfach nur eine Abbildung der Realität. Sie schafft Realität. Sie ermöglicht uns, Dinge wahrzunehmen, die wir ohne die sprachliche Benennung nicht wahrnehmen würden. Kübra Gümüsay gibt in ihrem Buch „Sprache und Sein“ das Beispiel des türkischen Wortes „yakomoz“. Dieses Wort meint die Reflexion des Mondlichtes auf dem Meer. Gümüsay schreibt dazu „Weil ich das Wort kenne, nehme ich wahr, was es benennt“. Unsere Sprache ist ein machtvolles Steuerungselement, das nicht nur dafür sorgen kann, Dinge sichtbar bzw. wahrnehmbar zu machen, sondern auch zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen kann. Was ich damit meine, erklärt sich durch Punkt drei und vier.

3. Gendern beeinflusst die Berufswahl.

Auf Stellenausschreibungen, die eine gendersensible Sprache verwenden, bewerben sich signifikant mehr Frauen als auf Stellenausschreibungen, die z.B. für den Jobtitel das generische Maskulinum mit der Ergänzung „(m/w/d)“ verwenden (Quelle: Antidiskriminierungsstelle). An dieser Stelle sei noch kurz hinzugefügt, dass Unternehmen, die in ihrer internen und/oder externen Kommunikation gendern, obwohl sie kein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in ihrer Belegschaft haben, kein pinkwashing betreiben. Es ist ein wesentlicher Schritt, um eine diversere Besetzung herbeizuführen und zu fördern (Sprache schafft Realität).

4. Gendern für unsere Kinder.

Kinder begreifen nicht, dass mit „Astronauten“ auch „Astronautinnen“ gemeint sind. Durch das generische Maskulinum entstehen Bilder in den Köpfen unserer Kinder (und bei uns Erwachsenen). Bilder von männlichen Astronauten, von männlichen Wissenschaftlern, von männlichen Elektronikern, Dachdeckern, Mechanikern, Mathematikern und so weiter. Das wurde mir vor Kurzem schmerzlich bewusst, als ich mit meiner Tochter ein Buch angeschaut habe, in dem ein Astronautenmädchen vorkam. Meine Tochter sah mich verwundert an und vergewisserte sich, ob sie auch ein Mädchen sei. Als ich das bejahte, sagte sie mit strahlenden Augen: „Dann kann ich auch zum Mond fliegen?“ Das machte mir mit einer wahnsinnigen Wucht verständlich, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt gedacht haben musste, sie könne nicht auf den Mond fliegen, WEIL sie ein Mädchen ist. Und das ist kein Wunder, denn in all unseren anderen Kinderbüchern, in denen es um Raumfahrt geht, wird ausschließlich von „Astronauten“ gesprochen. Wir verwehren unseren Kindern durch den Verzicht auf gendersensible Sprache ein großes Stück Entscheidungsfreiheit – darüber, welche Interessen und Berufsideen sie verfolgen wollen. Kinder verstehen nicht, dass Frauen „mitgemeint“ sind. Da ist es mir persönlich auch egal, wenn ein Sprachwissenschaftler behauptet, „Bäcker sei in der Beziehung neutral“ und meine nicht nur Männer (Quelle: Deutschlandfunk). Es zählt die Botschaft, die durch Studien belegt bei den meisten Menschen ankommt (Quelle: z.B. fh-muenster) und das ist nun mal, dass unter „Bäckern“ männliche Bäcker verstanden werden.

Nachteile und Gefahren des Genderns:

 

Wie bei allen Themen gibt es auch bei der gendersensiblen Sprache einige Nachteile bzw. Gefahren. Ich sehe da insbesondere zwei: Die Gefahr der Reaktanz. Dieser Begriff aus der Psychologie ist das, was wir im alltäglichen Sprachgebrauch als Trotzreaktion bezeichnen. Menschen, die sich durch die wahrgenommene Verpflichtung zur Nutzung gendersensibler Sprache bevormundet fühlen, gehen in den Widerstand („Ich lasse mir doch nicht vorschreiben wie ich zu sprechen habe!“). Die Reaktanz verstärkt die Nicht-Nutzung der gendersensiblen Sprache – nicht gestützt auf sachlichen Argumenten, sondern aus einem Ohnmachtsgefühl heraus.

Die zweite Gefahr, die ich sehe, ist die Überbetonung der binären Geschlechter (wenn nicht eine neutrale Form genutzt wird). Abgesehen vom Gendersternchen kommt die Transgeschlechtlichkeit in unserem Sprachgebrauch quasi nicht vor (Das Gendersternchen, auch Asterisk genannt, symbolisiert Transgeschlechtlichkeit). Und wäre es nicht erstrebenswert, viel weniger zwischen den Geschlechtern zu differenzieren und stattdessen einfach den Menschen zu sehen?

Fazit

Meine Einschätzung ist, dass wir noch sehr lange nicht an dem Punkt sind, den Menschen ohne Geschlechtszuweisung zu betrachten. Und auch wenn ich das für den wünschenswertesten Zustand halte, bin ich der Überzeugung, dass es erst einmal eine lange Zeit braucht, in der alle Geschlechter sichtbar sind, akzeptiert und toleriert werden. Erst dann können wir den Versuch starten, uns auf den Menschen als solchen zu konzentrieren. Bis dahin braucht es gendersensible Sprache.